Kurztrip: LEMMER – Darf’s ein bisschen Meer sein?

Mnemory Lane

Wer, wie meine Wenigkeit, seine Kindesbeine in der dreiländereckigen Voreifel aufzuwachsen weiß, der macht in den allermeisten Fällen seine ersten Reiseerfahrungen in der westlichen Landsnachbarschaft namens Belgien und Holland.

Wenn ich mich recht erinnere, und an die ersten drei Urlaube meines Lebens erinnere ich mich partout nicht, wurde ich im zartesten Knabenalter von Null bis Gymnasialreife wohl etwa wenigstens einmal jährlich, entweder per mütterlichem Kleinstjapaner oder auch per Bus mit etwa 20 weiteren Hortkindern, zwecks Salzluftbetankung in die niederen Lande spediert.

Als Kind war ich quasi jahreszeitenübergreifend erkältet. Die Gründe dafür wollen mir bis zum heutigen Tage verborgen bleiben. Doch zur anfänglichen Verwunderung und schlussendlichen Begeisterung meiner Selbst und des mich reisebegleitenden Betreuungspersonals verschwanden Rotznase und -fahne bereits kurz nach der gefahrenen Übersetzung von Autobahn zu Snelweg, als ob mein juveniler Riechapparat schon gleich hinter Simpelveld den erhöhten Salzgehalt der Nordseeluft wahrnehmen konnte. So lernte ich früh Jod und die Welt kennen – in Holland war Letztere jedenfalls immer prompt, und eine ganze Urlaubsdauer während, in Ordnung.

Ausgedehnte Spaziergänge machten plötzlich Spaß, alle Menschen um einen herum schienen fröhlich zu sein, selbst schlechtes Wetter fühlte sich gut an – Ferien halt.

Nebst etlichen Wochenaufenthalten im meeresnahen Oostkapelle und umliegenden Gemeinden der Provinz Zeeland, welche mit unzähligen Partien Midgetgolf, allerlei Dünenwanderungen mit und ohne Taschenlampe und Fahrten über Stock und Stein mit den ortsüblichen Trapkars gleich mehrere unauslöschliche Plätze in meiner Mneme innehaben, bot sich im pubertären Holozän, ich war etwa zwölf, die einzigartige Gelegenheit, das IJsselmeer, den landesgrößten Binnensee, per Hausboot zu beschippern. Das einwöchige Dasein als jugendlicher Ultraleichtmatrose genoss ich in vollen Zügen, jene ersten zaghaften Inhalationen am pfui-wie-verbotenen Glimmstengel – man teilte sich zu dritt eine Schachtel „Black Death“, die einzig und allein wegen des als sehr cool empfundenen Logos gekauft wurde – inbegriffen.

Unbeschwerte Freiheit, unterlegt vom sonoren Geröhr des Bootsmotors, der uns sicher und in unaufgeregter Reisegeschwindigkeit entlang der Polder, vom südlichen Marker- bis hinauf ins eigentliche IJsselmeer, durch die vielen engen Kanäle und Schleusen bis hin nach Sneek und wieder zurück trägt. Nicht ganz hohe See, aber ein bisschen Meer…

Die Jungenjahre vergingen (das Nikotinlaster blieb), die Feriendestinationen wurden nicht zuletzt auch aufgrund eines zwischenzeitlichen interkontinentalen Umzugs ferner der Beneluxregion gewählt, und der nicht immer ganz ruckelfreie Übergang vom adoleszenten ins adulte Gewässer öffnete, gewollt wie ungewollt, einige neue Türen und Fenster. Der Einstieg in das ernste professionelle Leben, neue Gesichter, neue Orte. Doch jene, die man zu Kindeszeiten bereiste, blieben stets in guter, unschattiger Erinnerung, verknüpft mit dem eisernen Vorhaben, sie eines Tages wieder aufzusuchen.

Und nun ist sie wieder da, in noch gereifterem Alter und nach erfolgreichem Wurzelschlagen im schönen Münsterland, die wohlig-vertraute Nähe zum Nachbarn im tiefen Westen – vom antiomnischen Hauptquartier in sehr angenehmer PKW-Reisezeit erreichbar und als Ziel für unsere Reise- und/oder Spontanausflugslust wie gemacht.

So beschlossen mein holdes Frollein und ich an einem Samstag des letztjährigen Sommers, unserem Drang nach Meeresbrise und frischen Eindrücken für Herz, Hirn und Fotoalbum nachzugehen, uns nicht allzu spät aus der gemütlichen Bettstatt zu erheben und den silbergrauen Astra-Körper vollzutanken. Doch wohin genau sollte es uns verschlagen?

Die Unlust, viele hunderte Autobahnkilometer in Richtung deutscher bzw. holländischer Nordseeküste zu fressen, paarte sich mit jenen Erinnerungen an das IJsselmeer, und der prüfende Blick auf den Online-Routenplaner manifestierte mit spekulierten 2 Stunden Fahrtzeit unsere Wunschdestination, gelegen am Ostufer, wo die Provinzen Flevoland und Friesland sich begegnen.

Welkom bij De Fryske Marren

Eine Bronzeplastik vor der reformierten Kirche erinnert an die traditionsreiche Vergangenheit des einstigen Fischerdorfes. Die Straßen und Gässchen im beschaulichen Zentrum dieses 10.000-Seelen-Ortes wirken wie zierendes Beiwerk – solide Unterlage für uns schlendernde Landratten, die festen Grund unter ihren Plattfüßen brauchen. Sie bilden nur den Rahmen für die eigentlichen und geschichtsträchtigeren Wege, auf welchen jener „Lemster Fiskerman“ und viele andere seiner Genossen die Tagesfänge aus der einstigen Zuiderzee heimbrachten. Heute befahren Ausflugsboote die vielen Kanäle und passieren die Schleusen, Touries steuern ihre mal mehr, mal minder pompösen Jachten in den adretten Hafen. Es ist Anfang Juli, feinster Sommer. Wir befinden uns in Lemmer.

Das Ziel am späten Nachmittag dieses schönwettrigen Samstages erreicht, lässt sich das AutOmobil überraschend suchunaufwändig und bequem im Zentrum parken. Gleich in der Nähe, unser erstes anvisiertes Ziel: der lokale Sparmarkt. Denn uns steht der Sinn nach einem der landestypischen Biere, welches wir am hoffentlich augen- und fußsohlenschmeichelnden Küstengeläuf zu schlürfen gedenken.

Trotz oder vielleicht auch gerade wegen der aktuell stattfindenden Fußball-WM hält sich das touristische Aufkommen in überschaubaren Grenzen – das Dorfidyll liegt vor uns wie ein gepflegter Kurort in sonnenbeschienener Halbwachheit, und wir begeben uns, den Rucksack mit einem Duett aus verhopftem Grünglas befüllt, samt Kameratasche und bester Laune auf die Suche nach dem begehrten Streifen Land, welcher das Wasser küsst und die antiomnische Sandstrandsand-Sammlung um eine weitere körnige Memorabilie erweitern soll.

Die Straßenplanlosigkeit machen wir durch gottköniglichen Wagemut und zwei recht gute Näschen (wir fragen zwei ältere Herrschaften nach dem Weg) wieder wett… so erreichen wir auch ortsunkundig und ohne GPS den Wunschort, westwärts entlang des Wasserweges „‚t Dok“ mit kurzem Zwischenstopp an der Zijlroedebrug – die Bucht von Lemmer.

Lemmer StrandDer Strand wirkt aufgeräumt und zeigt sich an diesem Nachmittag gar noch menschenleerer als der Ortskern. Unterstützt durch die leichte Seebrise, welche die Sommersonnenstrahlen noch angenehmer auf unsere blassen Häute einwirken lassen… eine perfekte Szenerie für Kamera, Mensch und Bier. Letzteres, nicht mehr ganz so kühl, genießt Omni ein kleines bisschen weniger als meine Wenigkeit.

Umso erfrischender und wohltuender hingegen das Fußbad im sanft an den Strand gespülten Meerwasser, frischer Wind in den Haaren… hier dürfen die oft so alltagsgefangenen Seelen baumeln, die inneren Kinder freudig wild umhertanzen, und Körper und Geist erfahren selbst bei kürzester Verweildauer einen gefühlt gewaltigen Gesundheitsschub.

Die Sandstrandsanddose randvoll gefüllt, unsere Blasen ähnlich voluminös, beschließen wir den Rückweg in Richtung Zentrum, laden Kamera und Erinnerungsstücke ins treue Gefährt und suchen per pedes eine Gaststätte in der Nähe auf, an deren Namen wir uns leider nicht mehr erinnern. Die später betriebene Tiefenrecherche soll ergeben, dass wir uns vermutlich im etwas spelunkigen, aber durchaus gemütlichen „Cafe Spuit 11“ erleichtern und nachfüllen. Gut, der Zustand der sanitären Anlagen… belassen wir es bei dieser Randnotiz!

Da wir zwischenzeitlich auch für feste Nahrung durchaus empfänglich sind, kehren wir daraufhin in die Lunch & Tapas Bar „Tapa Tapa“ ein und erhöhen die Population der dortigen Terrasse gleich um ein Vielfaches. Mit lateinamerikanischem Fingerfood, das zwar mundet, aber nicht wirklich sättigt, genießen wir den Blick auf den direkt zu unseren Füßen liegenden Kanal. Langsam aber stetig legt sich der Abend über Lemmer, und die Gassen und Plätze füllen sich mit einigen Menschlein mehr – zumeist gehüllt in Oranje-Farben, mit blau-weiß-rotem Halsschmuck oder allerwenigstens wangenbemalter Trikolore. An diesem Abend wird die Elftal im fernen Brasilien ihr Viertelfinale gegen Costa Rica bestreiten, und so zieht das fanende Volk in die verschiedenen Bars und Restaurants, um einen Platz mit Blick auf einen der vielen Flachbildschirme zu ergattern, dabei die Kehle mit flüssigem Gold zu kühlen, um mal mehr, mal weniger gesittet, das Spiel kommentierend/singend/gröhlend/pfeifend zu begleiten.

Lemmer KanalAuch unsereins verlässt den Sitzplatz und schlendert über die Brücke wieder auf die Langestreek, welche uns bereits zum Strand führte. Die sanftwarme Beleuchtung des Eetcafé Lange Piet lockt uns in sein Inneres, und auch wir finden noch einen Tisch für zwei, von welchem wir das sportliche Geschehen schemenhaft und fragmentarisch wahrnehmen können. Die Servicefachkräfte flitzen durch die Tisch- und Stuhlreihen, gut gelaunt bei aller Umtriebigkeit, ihr Lächeln keine Hektik preisgebend. Fröhliche Menschen tummeln sich hier in Lemmer… und ich denke, dies nicht nur zu Zeiten eines fußballerischen Großereignisses.

Zwei Getränke später beschließen wir, noch einmal den Strand aufzusuchen, bevor wir wieder die Heimreise anzutreten gedenken. Die Nacht bricht langsam über das Städtchen hinein, einige wenige Spaziergänger streifen über das laternenbeschienene Kopfsteinpflaster. Diesmal nehmen wir die Route durch das sehr aufgeräumt wirkende Industriegebiet, und selbst das hat seinen ganz eigenen Charme im Lichte der fast gänzlich versunkenen Sonne. Wir atmen noch einmal tief ein, diese wohltuende Luft und beschauen das kleine Bisschen Meer. Man hört es kaum in dieser Bucht, kein Rauschen, kein großes Wellenschlagen. Unaufgeregtes Naturdasein, händchenhaltende Zweisamkeit… neue schöne Erinnerungen an unser Nachbarland!

Gewiss hätten wir diesen Tag auch in klischeeverhafteter Touri-Manier mit all den üblichen und auch in Lemmer durchaus vorhandenen Sehenswürdigkeiten überfrachten und verplanen können. Wir entschieden uns unausgesprochen aber konsensuell bewusst dagegen. Folgende „Must Sees“ haben wir vernachlässigt:

  • das Woudagemaal (größtes und einziges noch betriebenes Dampfschöpfwerk der Welt)
  • die Lemstersluis
  • die Prinses Margrietsluis
  • das Heimatmuseum „Lemster Fiifgea“
  • das Indian Motorcycle Museum
  • das Tauchermuseum

Aber eben: Lemmer ist auch ohne Besichtigung der oben genannten Spots eine Reise wert. Wir haben dieses kleine, feine Städtchen für die Zukunft jedenfalls noch einmal im Blick… dann vielleicht auch für mehr als nur einen Tag!AO Lemmer Strand

[hupso]



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