Interview: ATROCITY – Von wahren Gralshütern und modernen Schnitzeljägern

Atrocity Okkult Promo

Zwar waren die Ludwigsburger Düstermetaller Atrocity in der vergangenen Dekade niemals untätig, auf ein reguläres metallisches Release mussten die Fans allerdings eine stattliche Weile warten. Nun endlich meldet sich die Mannschaft um Mastermind Alexander Krull mit einem wahrhaften Mammut-Projekt zurück: „Okkult“ heißt die Trilogie, deren erster Teil seit einigen Tagen in den Regalen steht und auf ganz bandspezifische Weise düstere Geschichten erzählt. Ich sprach im Namen des Metal Mirror mit Bandchef Alex, der mir u.a. verriet, warum es wichtig fürs eigene Seelenheil ist, untrue zu sein.

Alex Krull ist nicht nur mit jeder Pore Vollblutmusiker, er ist auch ein fest verwurzelter Teil der deutschen Metalszene, der das Musikbusiness von all seinen Seiten kennt – ob als Musiker, Produzent, Labelmanager, Schreiberling, Bandmanager, es gibt nichts, was der Schwabe nicht schon gemacht hätte. Nicht zuletzt deshalb ist ihm eines bewusst: Wer ein Haar in der Suppe sucht, der findet es auch. Obschon die Resonanz auf das neue Atrocity-Werk überwiegend euphorisch ist, ist die Band schon immer irgendwie angeeckt und sieht sich auch heuer wieder einigen erhobenen Zeigefingern ausgesetzt. So stören sich die einen am platten Albumtitel, während die anderen verständnislos den Kopf ob der Tatsache schütteln, dass die deutschen Metal-Veteranen sich in keine Schema-F-Schublade quetschen lassen. Doch wer solche Kritik sät, wird in Alex‘ Fall grosses Unverständnis ernten, denn da man es ohnehin nie allen recht machen kann, hat vor allem die eigene Zufriedenheit Priorität: „Es ist belustigend zu lesen, wie sich so manch ein Journalist richtig auf uns eingeschossen zu haben scheint. Aber da muss man drüberstehen. Machst du ein abwechslungsreiches Album, dann ist es nicht homogen genug und machst du eine geradlinige Platte, bist du ideenlos, haha. Für uns spielt das sowieso keine Rolle, wir wollen einfach gute Alben veröffentlichen! Und unsere Fans wissen das zu schätzen! Wir ziehen unser eigenes Ding durch, hinter dem WIR zu 110% stehen. Wenn es Leuten gefällt, umso besser, wenn nicht, auch kein Weltuntergang. Was ich allerdings wirklich nicht nachvollziehen kann, sind die immer stärker werdenden Tendenzen zum Scheuklappentragen, von wegen als Fan von Band X kannst du doch unmöglich Band Y gut finden, das ist ja total „untrue“. Komische „Regeln“, die haben in einer Musikart wie Metal nichts zu suchen. Metal steht dafür Grenzen einzureißen, DAS ist der wahre Gedanke, und nicht etwa beknackte Regeln aufzubauen. Ich wehre mich gegen diese Art von Gleichschaltung unserer Musikrichtung!“. Alex will sich einem derartigen „Verhaltenskodex“ weder als Musiker noch als Musikkonsument unterwerfen. Musik soll gefallen, was nichts mit propagierten Normen und Klischees, sondern einzig mit persönlichem Geschmack zu tun haben sollte.

Unerklärlich faszinierend

Klischee ist überhaupt ein sehr gutes Stichwort. Da arbeiten Atrocity seit Jahren an einer Trilogie und ihnen fällt thematisch nichts Besseres ein als mal wieder irgendwelcher satanistischer Firlefanz? Mitnichten, denn für die Band ist „Okkult“ viel mehr als das, was dem aufmerksamen Hörer schnell auffallen wird: „Die Idee etwas Umfassendes zum Thema Okkultismus zu machen gab es schon lange und schnell war klar, dass sich das auf einem einzigen Album nicht abhandeln lässt, weswegen wir das Projekt dann schließlich als Trilogie geplant haben. Dass Okkultes immer sofort mit Satanismus assoziiert wird, ist bloßer Unwissenheit geschuldet. Wir verbinden damit viele andere Dinge wie Übersinnliches oder unerklärliche Mysterien“, sprudelt es voll ehrlicher Faszination aus Alex heraus. Und auch mit dieser Erklärung ist die lyrische Tragweite der Alben noch lange nicht vollends erfasst. „Religionen, Politik, Weltanschauungen, das alles spielt eine Rolle. Angst ist ein Grundgefühl, was die Menschen verbindet und was in die schaurigsten Geschichten münden kann. Es ist faszinierend, dass Völker völlig unabhängig voneinander Ängste mit ähnlichen Strategien zu überwinden versuchen und wie Religion und Politik solche Ängste nähren und manipulieren. Im Endeffekt werden aus Angst auch Kriege geführt.“, erklärt Alex weiter. Ein globales, kulturübergreifendes Phänomen, weswegen die Trilogie nicht zuletzt auch ein wenig kontinental gegliedert sein wird. Während sich Teil 1 mit überwiegend europäischen Abgründen befasst, werden auf den Nachfolgern auch amerikanische und asiatische Mysterien unter die düstere Lupe genommen.

Globale Kreativität

Bis die weiteren Teile der Trilogie jedoch zur Analyse bereitstehen, wird noch einige Zeit vergehen. Obschon bereits jetzt haufenweise Material komponiert ist, rechnet Alex frühestens in 1,5 Jahren mit dem Nachfolgewerk. „Wir wollen jetzt erst mal touren, auch wenn es noch keine spruchreifen Termine oder Billings gibt. Sicher liegen viele Songs und Ideen für das, was kommt, schon parat, wir wollen uns da aber auch nicht selbst in Ketten legen und uns noch alle Optionen offen lassen. Dass wir unsere Kreativität ohne Rücksicht auf Verluste austoben, hört man in jedem Fall auf der aktuellen Scheibe. Das wollen wir uns definitiv bewahren.“ So darf beispielsweise durchaus damit gerechnet werden, dass nicht nur lyrisch kulturspezifisches in die kommenden Werke einfließen wird. „Ein paar asiatische Klänge auf der dritten Scheibe? Warum nicht! Wir haben eine verdammt große Spielwiese, die wir mit viel Spaß und Leidenschaft für die Musik ausreizen!“ freut sich Alex auf die bevorstehende Arbeit, obgleich er aktuell auch schon wieder Leaves‘ Eyes auf dem Arbeitsplan stehen hat. So ist das halt, wenn Musik nicht nur ein Job, sondern pure Leidenschaft ist.

Moderne Schnitzeljagd

Während Atrocity und Alex Krull also weiter arbeiten, wird die Wartezeit bis zur Albenfortsetzung für Fans definitiv auch nicht langweilig, denn mit der „Okkult-Treasure-Hunt“ warten die Schwaben mit einem bisher nie da gewesenen Event auf: Irgendwo in Europa versteckt, liegt eine 24-Karat-vergoldete „Okkult“-Scheibe, die einen Bonustrack enthält, den es nirgends sonst gibt – alle Aufnahmen wurden von der Band höchstpersönlich zerstört. Um diesen Schatz zu finden, gilt es Rätsel zu lösen, Orte zu erkunden und Hinweise zu deuten. Dass sich dabei auch dem immer populärer werdenden Phänomen des Geocachings bedient wird, ist dabei kein Eingeständnis an aktuelle Hypes, sondern schlicht die Art und Weise wie sich die Leute im Jahre 2013 auf Schatzsuche begeben. „Der Hintergrund für diese Idee ist absolut simpel: Ich fand die Suche nach etwas Verborgenem schon immer faszinierend. In mir schlummert ein kleiner Indiana Jones! Ich hoffe, dass die Fans an einer solchen Sache ähnlich viel Spaß haben wie wir. Wir verfolgen die Resonanz schon jetzt mit großem Interesse und sind unheimlich gespannt, ob der Song am Ende gefunden wird.“ Doch die Schatzsuche, die es auch bei den Nachfolgern in Amerika und Asien geben wird, ist nicht ausschließlich bloße Spielerei. Atrocity wollen ebenso ein klares Zeichen setzen und den Leuten die Wertigkeit von Musik wieder zurück ins Gedächtnis rufen. „Den Song kannst du eben nicht einfach im Internet runterladen und er wird niemandem hinterhergeschmissen. Wir würden uns jedoch auf jeden Fall freuen, wenn er gefunden wird. Der Track ist nämlich verdammt gut“, schürt Alex, der als einziger den Aufenthaltsort des Schatzes kennt, lachend die Neugierde. Also Leute, freut euch des Lebens und der Vielfältigkeit der Musik und verlasst eure vier Wände, um mal was von der Welt zu sehen um am Ende den heiligen Gral in den Händen zu halten!

Atrocity Official

Metal Mirror #76

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