Interview: THERION – Ungeschönte Wahrheiten zum Jubiläum

Therion - Les Fleurs du Mal Promo 2012

Ein Vierteljahrhundert – das Wort allein klingt mächtig, und man sollte es sich genüsslich auf der Zunge zergehen lassen, besonders dann, wenn im heutzutage immer kurzlebiger werdenden Musikbusiness eine Band ein solches 25-jähriges Jubiläum feiert. Nicht alle Künstler gehen eine derartige Feierlichkeit gleich an. Für gewöhnlich gibt es eine Best-Of, wenn der Fan Glück hat, garniert mit etwas neuem Material – das Übliche eben. Einige Bands lassen es sich hingegen nicht nehmen, das Fest mit etwas Speziellerem anzugehen, schließlich ist es mit den Jahren nicht einfacher geworden, Platten zu verkaufen. Und dann gibt es da noch THERION. Die Band blickt auf 25 äußerst bewegte, nicht immer einfache Jahre zurück, geprägt von einigen Stil- und kaum weniger Besetzungswechseln. Trotzdem konnten die Schweden besonders in jüngerer Vergangenheit ihre ganz persönliche Wahrnehmung von Musik etablieren und haben sich unter den aufmerksamen Fittichen von Nuclear Blast zu einer richtig großen Nummer gemausert. THERION-Mastermind Christofer Johnsson verrät uns im ausführlichen Gespräch, weshalb seine bandinterne Silberhochzeit völlig aus der Reihe tanzt und er das Jubiläum mit einer bedeutungsschweren Abschiedsankündigung einläutet.

Auch ohne Corpsepaint und imaginäre, berittene, schwertschwingende Drachenkrieger gehören THERION zweifelsohne zu den Bands, die quasi von Natur aus von einer geheimnisvollen Aura umgeben sind. Bis dato taten die Schweden selbst ihr Übriges dazu, um diese aufrechtzuerhalten, hielt man sich, was die Offenbarung von Plänen anging, doch immer gerne bedeckt. Da mit dem 25-jährigen Bandjubiläum hinsichtlich der vor Christofer Johnsson und seinen Gefährten liegenden Zukunft jedoch diesmal kaum noch etwas so sein wird, wie es einmal war, hat sich das sonst eher verschlossene, kreative Mastermind hinter THERION entschieden, Klartext zu reden, selbstverständlich nicht, ohne so manches kleinere Geheimnis die Neugierde der Fans schüren zu lassen: „Wir haben große Dinge vor. Dinge, die sehr viel Zeit in Anspruch nehmen werden, so dass es möglicherweise sehr viele Jahre nach außen hin ruhig um uns wird, während wir fleißig in unserem Kämmerchen am Arbeiten sind. Da ist es nur natürlich, dass man sich mit einer solchen Nachricht an die Öffentlichkeit wendet. Primär hat dies jedoch einen anderen Grund. Wir feiern unser Jubiläum mit einem Art-Projekt, wie wir es nennen. In Zuge dessen werde ich mehr als einmal über meinen eigenen Schatten springen müssen, was meine Kommunikationsbereitschaft angeht“, grient der gutgelaunte, wenn auch schwer beschäftigte Schwede. Schließlich ist das Kunstwerk, von dem er so begeistert spricht, bereits in vollem Gange.

Album auf Ratenkredit

Teil des Ganzen ist beispielsweise das neue Langeisen „Les Fleurs du Mal“, das vermutlich für sehr lange Zeit das letzte Album aus dem Hause THERION sein wird und nicht wie gewohnt bei Nuclear Blast erscheint. „Die Entstehungsgeschichte der aktuellen Scheibe versetzt mich gedanklich immer wieder in die Zeiten zurück, als damals „Theli“ in den Startlöchern stand. Unser Label war sich nicht ganz sicher, was es da in Händen hielt, doch das Geld war investiert, und es gab kein Zurück mehr. Selbst bandintern war nicht jeder überzeugt davon, dass „Theli“ bei den Leuten ankommen würde, nicht einmal ich. Aber schließlich hat uns genau diese Platte groß gemacht und die Leute belohnt, die hinter uns standen. Das Album war seinerzeit ein Wagnis, doch „Les Fleur du Mal“ ist ein noch größeres!“ Nicht nur in musikalischer, sondern besonders auch in finanzieller Hinsicht ein gewagtes Unterfangen, hat Christofer Johnsson für sein Machwerk doch tatsächlich einen Kredit aufgenommen. „Die Zusammenarbeit von Nuclear Blast und THERION war nie besser als heute. Gerade deshalb habe ich mich dazu entschlossen, das neue Album unter Eigenregie zu veröffentlichen. Die Vorstellungen der Band und der Plattenfirma gingen, was die Jubiläumsveröffentlichung anging, einfach zu weit auseinander. Eine Art Best-Of oder ähnliches kam für uns nicht in Frage. In Zeiten, wo man bei so vielen Internet-Plattformen in Musik reinhören und sich ein Bild verschaffen kann, sollte man die Band nicht kennen, haben Best-Ofs für mich einfach schlichtweg keine Daseinsberechtigung.“ So entschied sich Johnsson, der dieses Mal keine Kompromisse eingehen wollte, eigenes Geld zu investieren, um hinter dem Ergebnis zu 100 Prozent stehen zu können. So begab es sich also, dass der THERION-Chef bei seiner Bank vorstellig wurde und um einen Kredit für ein waghalsiges, musikalisches Projekt bat, das seiner Plattenfirma entschieden zu strange war. „Ich kam mir vor wie John Cleese, als ich auf diese Weise um 75.000 Euro bat“, verrät Christofer lachend. Doch offensichtlich haben sich die Mitarbeiter seiner schwedischen Hausbank als Monty Python-Fans entpuppt, denn sie gewährten ihm den Kredit.

Gleiches Geld von allen

Folglich kann, wer möchte, inzwischen in den Genuss von „Les Fleurs du Mal“ kommen, zunächst nur per Kauf über den Bandshop oder beim Merchstand auf Konzerten, später dann auch über gewohnte Geschäftswege, auch wenn man dort mit einigen Abstrichen bezüglich des Booklets rechnen muss. Doch wie klingt es denn nun, das neue THERION-Album? „Das muss jeder selbst herausfinden“, sagt Johnsson gespielt verschlossen. Doch tatsächlich, weder er möchte es den Journalisten sagen, noch können die es den Fans sagen, denn eine Presseversion gibt es nicht. „Jeder, wirklich jeder, soll das Album unter gleichen Voraussetzungen hören können. Das beinhaltet auch, dass die Schreiberlinge sich ein Exemplar auf einer unserer Shows oder im Store kaufen.“ Sicher spielt bei der Entscheidung, die Musikpresse im Vorfeld der Veröffentlichung außen vor zu lassen, auch die Angst vor illegaler Veröffentlichung im Netz eine Rolle, auch wenn der Schwede diesen Grund nicht explizit verbalisiert. „Du wirst in jedem Fall vorsichtiger, wenn es das eigene Geld ist, das du aus dem Fenster wirfst“, gibt er immerhin zu, „doch wir wollen den Leuten auch einen Mehrwert bieten, der sie zum Kauf reizt. In Verbindung mit dem Art-Projekt wird es ein ganz spezielles Booklet geben, und in meiner Idealvorstellung signiere ich jede Platte, die auf einem unserer Konzerte verkauft wird, persönlich für jeden Fan!“

Scheiße fressen im Namen der Kunst

Von Idealvorstellung zu sprechen, ist tatsächlich nur die halbe Wahrheit, ist an dieser Stelle doch der Punkt erreicht, an dem Christofer beginnen muss, über den selbst zitierten, eigenen Schatten zu springen: „Ich bin eigentlich nicht der Typ, der Bier trinkt und sich stundenlang unterhält. Doch genau das habe ich vor während unserer Tour, die, wie schon das Album, die letzte reguläre THERION-Reise für lange Zeit sein wird. Ich werde mich jeden Abend so lange wie möglich an unseren Merchandise-Stand stellen, ein Bier trinken, mich unterhalten, signieren, Fotos machen, was immer die Fans möchten. Das ist in Ordnung, und ich freu mich drauf!“ Weniger angenehm allerdings wird der Teil des Kunstwerks, der auch das Nutzen sozialer Medien umfasst. Bei der bloßen Erwähnung des Themas stellen sich dem Schweden förmlich hörbar die Nackenhaare auf. „Ich h-a-s-s-e Facebook!“, lautet die kurze und knappe Wahrheit. Einen Account hat THERION-Mastermind Johnsson trotzdem, wenn auch sicher nicht zu seinem Vergnügen. Vielmehr häuften sich die Profile, bei denen sich Nutzer für ihn ausgaben. Um dem einen Riegel vorzuschieben, legte er seine eigene Seite an, in deren Dunstkreis nur diejenigen kamen, die zu THERION gehören oder dies in Vergangenheit taten. Doch die Fans waren damit nicht zufrieden, immer mehr enttäuschte Nachrichten erreichten den Schweden. Warum man nicht mit ihm befreundet sein könne, hieß es. „Also habe ich noch einen Account angelegt. Offensichtlich haben die Leute Freude daran, mit jemandem nach außen hin verbunden zu sein, selbst dann, wenn er das Profil offenkundig nicht benutzt. Wem es Spaß macht… Ich jedenfalls interessiere mich nicht im Geringsten dafür, was jemand zum Mittagessen zu sich nimmt oder welches Klopapier Musiker XY benutzt.

In Ordnung, nun ist wirklich jeder überzeugt davon, dass Christofer Facebook bis in die letzte Ecke verachtet. Doch das eigene Art-Projekt sieht tollkühne Pläne für ihn vor. „Ich werde bis Ende des Jahres, wenn das Projekt endet, auf Facebook aktiv sein. Das ist für mich wirklich, als würde man mich jeden Tag aufs Neue zwingen, Scheiße zu essen. Anders kann ich es leider nicht ausdrücken.“ Und doch tut er es sich an, „denn mit dem Jubiläums-Projekt wollen wir auch persönliche Erfahrungen sammeln und neue Wege einschlagen, die es so für uns vorher nicht gab.“ Tja, irgendwann kriegt Mark Zuckerberg jeden, so sehr er sich auch dagegen wehren mag. Doch so vehement sich Johnsson auch gegen die Plattform sträubt, er sieht es mit Humor (und hat übrigens noch Plätze in seiner Freundesliste frei, haha).

Deutschland stirbt

Obwohl sich der erstaunlich redselige Kreativkopf von THERION der heutigen Generation Kommunikation nicht zugehörig fühlt, ist er, wie erwähnt, aktuell um intensiven und persönlichen Fankontakt ohne seine geliebten Anflüge von Ironie ernsthaft bemüht. Die deutschen Bandanhänger allerdings konnten sich während der aktuell laufenden „Flowers Of Evil“-Tour nur schwerlich vom Wahrheitsgehalt der Worte Johnssons überzeugen, denn sie wurden nur mit einem einzigen Termin im Lande bedacht. Doch auch dafür gibt es gute Gründe, die nicht zuletzt auch finanzieller Natur sind. „Ich möchte niemandem auf die Füße treten, und ich schätze unsere Fans in Deutschland genauso wie die in allen anderen Ländern. Trotzdem möchte ich, da es unser Jubiläum ist und das Art-Projekt wirklich viel mit sozialen Erfahrungen und Reaktionen zu tun hat, an dieser Stelle vollkommen ehrlich sein. Keine Band, die von einem Journalisten gefragt wird, gibt es zu, dabei ist die Wahrheit so offensichtlich wie ein Elefant im Wohnzimmer: Deutschland als Musikmarkt liegt im Sterben! Deutschland wird von einigen, nicht allen, wie ich betonen möchte, Bands einfach nur noch mit Konzerten bedacht, weil es mittig zwischen Frankreich und Polen liegt und man sowieso durchfahren muss. Als wir mit THERION begonnen haben, hatten wir pro Tour mindestens zwölf Shows in der Bundesrepublik, doch mittlerweile sind die Leute einfach übersättigt, was irgendwo auch völlig verständlich ist. In keinem anderen Land hast du die Möglichkeit, an einem einzigen Wochenende aus so vielen Konzerten das eine auszuwählen, das du besuchst.“

Und tatsächlich, neben regulären Touren kommt das Überangebot an Festivals hinzu, was auch dazu führt, dass man sehr viele Künstler schon sehr oft gesehen hat. Die Möglichkeiten jedenfalls sind groß und die Tendenz, ein Konzert einmal nicht zu besuchen, da man ohnehin demnächst wieder die Chance hat, Band XY woanders zu sehen, ist steigend. „Es gibt in Deutschland inzwischen wieder eine Underground-Bewegung mit Bands wie The Devil’s Blood, und vielleicht ist in ein paar Jahren alles wieder ganz anders, das will ich nicht ausschließen. Momentan jedoch ist für etablierte, mittelgroße Bands, wie wir es sind, nahezu jedes Land interessanter als Deutschland.“ Harte Worte, die der Schwede sogar noch zu verschärfen weiß: „Der deutsche Fan stellt sich mit verschränkten Armen in die Hallen und ist bemüht darum, bloß nicht zu sehr zu zeigen, dass ihm die Show gefällt. Das kann man mir jetzt übel nehmen oder nicht, aber ich spiele als Vollblutmusiker lieber vor motivierten Leuten, die genauso viel Spaß an der Musik zu haben scheinen wie ich. Und da ist momentan beispielsweise Frankreich definitiv interessanter für uns.“ Jetzt hat der Elefant im Wohnzimmer also einen Namen, auch wenn es einer ist, der sicher nicht jedem gefallen wird. Doch ist die individuelle Wahrnehmung von Wahrheit manchmal einfach eine ernste Sache, besonders dann, wenn eine Band das finanzielle Risiko einer Tour vollkommen alleine trägt. Ob Ehrlichkeit in diesem Zusammenhang am längsten währt, wird sich wohl so bald nicht herausstellen, schließlich wird man THERION in den nächsten Jahren maximal hier und da auf einem Festival bestaunen können, trotzdem könnten die Worte des Schweden immerhin als Denkanstoß genommen werden. Warum nicht einfach das Gegenteil beweisen, anstatt beleidigt zu sein? Man wird sehen, wenn auch nicht in allzu naher Zukunft.

Die erste wahre Metal-Oper

Denn: Mit dem Jahr 2012 endet zwar auch das groß angelegt Art-Projekt, doch THERION arbeiten bereits an etwas noch Größerem. Der bekennende Klassik-Fan Johnsson werkelt seit einem Jahrzehnt an einer Oper. Die populären Parts, solche, wie sie selbst der engstirnigste Verweigerer von Mozart und Co. aus Werken wie etwa der „Zauberflöte“ kennt, sind bereits fertiggestellt. Doch alles Weitere wollte in all den Jahren nicht gelingen. „Ich habe irgendwann einsehen müssen, dass ich die unspektakulären Parts, die Füllmusik, einfach nicht zustande bekomme“, gibt Christofer zu. „Irgendwann kam der Punkt, an dem ich mich gefragt habe, warum ich mich so auf die reine Klassik versteife, wenn doch das, was ich am besten kann, die Verbindung zwischen klassischen und metallischen Elementen ist. So ist die Idee entstanden, der THERION sich in den nächsten Jahren, keiner weiß, wie lang das dauern wird, vollkommen widmet. Eine Metal- bzw Rock-Oper, die die erste richtige ihrer Art wird. Nur wirkliche Opernstimmen, Kostüme, Bühnenbild, alles, was dazu gehört!“ Bis dahin jedoch liegt noch ein langer Weg vor THERION, schließlich ist es bei einem solchen Projekt mit dem Schreiben von Musik alleine nicht getan. Und selbst, was das angeht, stehen die Schweden noch in der Anfangsphase. Doch die gesamte Band ist guter Dinge, mit der Zeit sind auch die Kollegen mehr und mehr von den manchmal unkonventionellen Ideen ihres Chefs überzeugt. „Natürlich gibt es auch hier, wie schon bei einigen regulären Alben, Gegenstimmen. Snowy Shaw zum Beispiel, der viele Jahre mit uns zusammengearbeitet hat, hasst die Idee abgrundtief. Dabei hatte ich schon eine Idee für eine kleine Rolle für ihn“, schmunzelt Christofer, „aber er würde sich mit der Sache absolut nicht wohlfühlen und widmet sich nun Dingen, die ihm persönlich Spaß machen. Doch die feste Bandbesetzung ist voller Elan bei der Sache, besonders unsere Stimmen Lori und Thomas sind voller Leidenschaft entflammt. Schließlich sind sie als Opernsänger hier in ihrem Element.“

Und Christofer ist das ohnehin, begeistert darüber, dass endlich Bewegung in seine schon lange brodelnden Ideen kommt. Während das musikalische Fundament stetig wächst, steht die Thematik der Oper noch in den Sternen – oder vielmehr bereits auf Papier in Bibliotheken. „Vermutlich werden wir das Ganze auf einem alten, bereits bestehenden lyrischen Werk aufbauen. Niemand mag zeitgenössische Lyrik und zeitgenössische Opern, ich schon gar nicht. Wagner, Verdi, das sind Namen, die die Leute damals wie heute in ihren Bann gezogen haben. Neue Opern hören nur Hasch rauchende Linke, die auf dem Kulturamt arbeiten und das Geld für moderne Werke verteilen. So sehe ich das jedenfalls“, umschreibt Johnsson lachend seine Gedanken. Fakt ist, dass das Projekt Oper sowohl für Metal-Fans als auch Anhänger klassischer Musik interessant werden dürfte. Zunächst jedoch wird man sich in Geduld üben müssen. Denn bis die Theater zur THERION-Rock/Metal-Oper, dann hoffentlich auch wieder in Deutschland, einladen werden, wird noch so manch ein Elefant die hiesigen Wohnzimmer besuchen kommen.

Therion Official

So ebenfalls zu lesen bei Legacy Online

Kommentar verfassen