LEUCHTTÜRME: Im Sand, am Strand und anderswo – PROLOG: Tag am Meer

Es gibt Tage im Leben eines Menschen, die möchte er verdrängen und vollumfänglich aus seinem Leben löschen, noch bevor er sie überhaupt zu Ende verbracht hat, sich sehnsüchtig nach der seligen Erlösung des Aufwachens verzehrend, um feststellen zu dürfen, dass alles nur ein schrecklich böser Traum war. Doch nur in den seltensten Fällen ist dem Leidenden dieses gnädige Momentum vergönnt, bei welchem die Erleichterung anstelle von Blut durch jede einzelne seiner Adern fließt. Doch machen wir uns nichts vor, für gewöhnlich bleibt er aus, dieser wunderbare Zeitpunkt, bei dem die Anspannung zitternd, aber Glück bringend weicht, weil mit einem Augenaufschlag die Welt, die eben noch Kopf stand, plötzlich wieder in reinster Ordnung ist.
Nein, du bist in der Realität und dein Schmerz, gleich ob physischer oder psychischer Natur, ist genauso echt wie der Abgrund, vor dem du gerade stehst. Du hörst die Leute beschwichtigend sagen, dass jeder in seinem Leben wenigstens einmal, vermutlich aber sehr viel öfter, einen solchen Tag überwinden müsse – einen Tag mit Hiobsbotschaften, die alles verändern und dich auf die eine oder andere Weise zu zerbrechen drohen. Die Stimmen wollen dir helfen, dir Mut machen und du weißt sogar, tief in deinem Innern, dass sie Recht haben, mit dem was sie sagen: sicher gibt es zur gleichen Zeit abertausende Menschen auf der Welt, denen es in diesem Moment noch schlechter geht als dir. Doch das ist dir egal, denn in solchen Situationen maximaler Verzweiflung sind das höchsteigene Leid und der persönliche Schmerz – vollkommen verständlicherweise – immer schlimmer als das aller anderen. Du willst weg, du willst raus, du willst „wünsch dir was!“…

Norddeich Postcard Hermann Hesse Stufen

Als Anti vor einer gefühlten Ewigkeit – zum Glück liegt dies Ereignis inzwischen weit, weit weg – einen solch vollkommen gebrauchten Tag erleben musste, hatte er nur eine tiefe Sehnsucht: Er wollte fort ans Meer. Sein so bescheidenes wie herzbewegendes Begehr erreichte mich über eine weite Distanz von Kilometern hinweg, und gleichermaßen gerührt wie verzweifelt ob meines Nicht-da-sein-Könnens, versprach ich, dass wir gemeinsam zu einem Ozean aufbrechen würden – irgendwann, sobald sich die Gelegenheit nur ergäbe, führe ich den A dorthin, wo immer er auch sein wollte…
Die Okkasion ergab sich erst einige Monate, und zwei Umzüge, später. Ausgelaugt, obschon nicht wenig glücklich, ob der arbeitsreichen Zeit, die hinter uns lag, beschlossen wir endlich, das lange zurückliegende, aber nie vergessene, Versprechen meinerseits in die Tat umzusetzen und suchten mithilfe einer Landkarte die nächstgelegene Adresse für eine wunderbar reinigende Meeresbrise und Salz auf unserer Haut. Mit Norddeich hatten wir ein solches Ziel schnell ausgemacht und so beschlossen wir eines Samstagmittags, nach standesgemäßem Frühstück gestärkt und ohne jegliches Gepäck, ausgenommen meiner Kamera, gen Ostfriesland aufzubrechen.

Es ward verregnet in Norden und nur wenige Touristen vermochte das, in ihren Augen wohl mehr als schäbige, Aprilwetter vor die Tür zu locken. Wir hingegen trotzten Wind und Wetter mit dem breitesten aller Lächeln auf den Gesichtern und wurden, am Strand angekommen, mehr als belohnt: Sand und Ozean hatten wir vollkommen für uns alleine, der Himmel tat sich auf, und wir wurden Zeuge eines wunderschönen Sonnenuntergangs. Herrlicher hätten wir uns diesen Abend nicht erträumen können.
Doch wie zu dieser Jahreszeit üblich, verließ uns Helios auch an diesem Tage zu nicht allzu sehr fortgeschrittener Stunde, und so beschlossen wir, Norddeich und Umgebung ein wenig mit unserem motorisierten Gefährt, welches in dieser Nacht auch unser Hotel sein sollte, zu erkunden. Und wie es der Zufall so wollte, stießen wir bei unserer Fahrt ins Blaue auf etwas, was nicht nur unser kurzzeitiges Interesse weckte. Zunächst folgten wir, ohne große Erwartungen zwar und dennoch gespannt, der Beschilderung, und dann schließlich sahen wir ihn – in der Ferne und Dunkelheit zwar kaum zu erkennen und doch schon in diesem Moment ein faszinierender Anblick: Der Pilsumer Leuchtturm.
Diese Nacht, und auch der darauffolgende Morgen, sollten für den A und die O der Beginn einer weiteren, gemeinsamen Passion werden – so wunderbar fanden wir das stattliche Gebäude mit seinen roten und gelben Streifen – und so beschlossen wir noch in Norddeich, alsbald zu recherchieren, ob es nicht noch weitere solcher wunderprächtigen Signalbauten gäbe, die auf einen Besuch unsererseits sehnsüchtig warten. Und so sind wir heute, bewaffnet mit allerlei einschlägiger Literatur* und Bildmaterial*, in derjenigen Mission unterwegs, die uns zu den, für uns ganz persönlich, schönsten Leuchttürmen dieser Welt führt. Und dorthin würden wir euch im Folgenden gerne mitnehmen. Vademecum…!

[hupso]

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